Kurze Anmerjungen zum Brexit
Nachdem wir in den Sog des britischen Referendums gezogen wurden, nach dem schon berühmten Trending Topic #Bregret der sozialen Netzwerke, nach unseren eigenen Wahlen und der mühseligen Regierungsbildung, müssen wir nun zu unserer täglichen Routine zurückkehren und die politischen, rechtlichen und steuerlichen Konsequenzen des jetzt in Zweifel gezogenen und/oder nuancierten Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union analysieren.
1.Der Ablauf des Austritts Großbritanniens:
Abgesehen von Spekulationen, müssen wir das Ergebnis des Referendums berücksichtigen. Deshalb muss der Austritt aus verfahrenstechnischer Sicht durch die Anwendung von Artikel 50 des Vertrags von Maastricht über die Europäische Union erfolgen.
Im Gegensatz zu dem, was viele glauben, ist es der austrittswillige Mitgliedstaat, der seinen Willen dem Europäischen Rat mitteilen muss, und nicht umgekehrt. Sobald der Antrag des Vereinigten Königreichs gestellt ist, ist der Europäische Rat verantwortlich für die Genehmigung des Beginns der Verhandlungen und für die Aufsicht über diese Verhandlungen und das erzielte Abkommen.
Bemerkenswert ist, dass sich das Vereinigte Königreich, zumindest offiziell, nicht an den Sitzungen oder Entscheidungen des Europäischen Rates oder des Rates der Europäischen Union beteiligen darf.
Damit das Austrittsabkommen gütig wird, muss das Europäische Parlament diesem zustimmen, bevor der Rat es endgültig verabschiedet. Wenn also das Europäische Parlament dagegen ist, muss das Abkommen erneut verhandelt werden.
Nach der Zustimmung des Europäischen Parlaments muss schließlich der Rat der Europäischen Union entscheiden, ob er das Abkommen mit qualifizierter Mehrheit annimmt. Dafür müssen 72 % der die teilnehmenden Mitgliedstaaten vertretenden Ratsmitglieder zustimmen, die mindestens 65 % der Bevölkerung der besagten Staaten ausmachen müssen.
Das Austrittsverfahren sollte innerhalb von zwei Jahren nach der formellen Mitteilung des Vereinigten Königreichs abgeschlossen sein. Es wird jedoch erwartet, dass das Verfahren der ausdrücklichen Zustimmung der Parlamente einiger Mitgliedstaaten erfordert, weshalb angenommen wird, dass der Prozess etwa vier Jahre dauern wird, und gemeinsam die entsprechende und notwendige Verlängerung vereinbart wird.
2. Unterschiedliche Annahmen über die künftigen Beziehungen zwischen der Union und dem Vereinigten Königreich:
Um die zu erwartenden rechtlichen Konsequenzen zu verstehen, ist es notwendig, die verschiedenen Szenarien zu kennen, die die Beziehungen zwischen der Union und dem Vereinigten Königreich bestimmen werden. Zur besseren Erläuterung der verschiedenen Möglichkeiten verweisen wir auf die zurzeit bestehenden Beziehungen zu Drittländern:
Erstens gibt es das sogenannte Norwegen-Modell: Das Vereinigte Königreich könnte der Europäischen Freihandelszone (EFTA) beitreten, dem derzeit Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz angehören. Als Mitgliedstaat der EFTA gäbe es die Möglichkeit, dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beizutreten. In diesem Fall wäre das Vereinigte Königreich NICHT Teil der Union, könnte aber vom gemeinsamen Markt profitieren.
Allerdings ist das Hauptproblem der hohe Grad der Umsetzung von EU-Recht, sodass bezüglich der nationalen Souveränität eine schlechtere Position gegeben wäre, da Gesetzgebung übernommen werden muss, bei deren Verhandlung und Verabschiedung nicht teilgenommen wurde.
Zweitens haben wir das sogenannte Schweizer Modell, welches eine Vielzahl bilateraler Verträge zu jeweils bestimmten Themen erfordert. Anders als bei der Option Norwegen würde das Recht der Union nicht in Großbritannien gelten, sondern nur die Bestimmungen der bilateralen Assoziierungsabkommen. Letztlich wäre es eine je nach Thema andere Handelsbeziehung, abhängig davon, ob es ein Assoziierungsabkommen dazu gibt oder nicht.
Allerdings war das Thema Einwanderung einer der Schwerpunkte der Kampagne für den Brexit. Aus diesem Grund bezweifle ich, dass dem Vereinigten Königreich ohne den freien Personenverkehr eine offene bilaterale Beziehung erlaubt wird, auch wenn dies eine destabilisierende Wirkung hätte.
Schließlich die Option Drittländer, in der die Union dem Vereinigten Königreich keine bevorzugte Beziehung bezüglich anderer Handelspartner der Union gewähren würde. Es könnten spezifische Handelsbeziehungen durch multilaterale Abkommen konkretisiert werden, wie die im Rahmen der Welthandelsorganisation getroffenen Vereinbarungen.
Dies ist die Option, die dem Vereinigten Königreich die größte Autonomie geben könnte, aber weniger Privilegien in Bezug auf die Beziehungen mit der EU und den Ländern, aus denen sie besteht.
3. Rechtliche und steuerliche Folgen des Brexits:
Wie wir bereits dargestellt haben, ist es offensichtlich, dass die Auswirkungen des Brexits davon abhängen, welcher Beziehungsrahmen gemäß Artikel 50 des Vertrags der Europäischen Union zwischen dem Vereinigten Königreich und der Union vereinbart wird, wozu es im Moment keine Gewissheiten gibt.
Mit dem Ziel einer kurz gefassten Analyse möglicher Konsequenzen müssen wir von einer Situation ausgehen, in der keine Einigung vorliegt.
In Bezug auf die Ermittlung der anzuwendenden Rechtsordnung in den grenzüberschreitenden Beziehungen ist es üblich, dass die EU-Vorschriften auch dann gelten, wenn eine der Parteien kein Mitgliedstaat ist. Dies bedeutet, dass viele europäische Rechtsinstrumente durch die Gerichte der Mitgliedstaaten anzuwenden sind, unabhängig davon, ob der Sachverhalt mit Mitgliedstaaten oder Drittstaaten verbunden ist. Wir sehen dies in Bezug auf Verträge und vertragliche Verpflichtungen, geregelt durch den Verordnungen Rom I bzw. II.
Auf der anderen Seite gelten die Regeln der Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen und Rechtshängigkeit der Verordnung Brüssel Ia, nur mit der Ausnahme, dass der Wohnsitz des Beklagten in einem Mitgliedstaat ist, wodurch die englischen Gerichtsentscheidungen nicht das Privileg der automatischen grenzüberschreitenden Durchsetzung genießen, weshalb ein nationales Verfahren der Vollstreckbarkeit erforderlich wird. Auch gibt es keine Garantie, dass ein Richter eines Mitgliedstaats ein Verfahren aussetzen könnte (oder es ablehnt), weil es im Vereinigten Königreich ein ähnlich gelagertes Verfahren gibt, dessen Auflösung prinzipiell anerkannt werden könnte.
Ein Austritt aus der Union würde den Briten erlauben, die volle Zuständigkeit in Steuerfragen zu übernehmen, vor allem im Hinblick auf die Mehrwertsteuer, die Verbrauchssteuern auf Tabakprodukte, alkoholische Getränke und Brennstoffe, sowie auf Zölle.
Da die Regeln des freien Kapitalverkehrs nicht gelten, kann die Besteuerung von Unternehmensgruppen ernsthaft beeinträchtigt werden, da diese Gruppen nicht von der Niederlassungsfreiheit, der Erbringung von Dienstleistungen zwischen Unternehmen der gleichen Gruppe usw. profitieren können.
Bei der Einkommensteuer nicht ansässiger natürlicher und juristischer Personen ohne eine feste Niederlassung in Spanien müssen diese einen höheren Steuersatz zahlen als ansässige eines Mitgliedstaates. Ebenso werden – zunächst – auch nicht die Folgen des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 3. 9. 2014 anzuwenden sein, durch welches die diskriminierende Behandlung Gebietsansässiger und Gebietsfremder (aber ansässig in einem Mitgliedsstaat) beseitigt wird.
In anderen Angelegenheiten wie bei Versicherungen und Rückversicherungen, Banken, Wettbewerbsrecht, Datenschutz, E-Commerce, Energie und Telekommunikation, sind die Konsequenzen vielfältig, abhängig vom Rahmen, in welchem die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Union geregelt werden.
4. Politische Auswirkungen:
Obwohl die Option „Leave“ im britischen Referendum vom 23. Juni gewonnen hat, werden wir die politischen Folgen erst sehen, wenn die britische Staatsbürgerschaft verstanden hat, dass sie den Verlust der Unionsbürgerschaft beinhaltet, also den Verlust der Rechte nach Artikel 24 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
Ebenso wird viel über die Situation in Schottland gesprochen, wo die Mehrheit für Europa ist und die Unabhängigkeitsbewegung Teil des täglichen Lebens seiner Einwohner ist. Sehr wahrscheinlich wird es bei den zu realisierenden Verhandlungen versuchen, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs nicht den Seinigen mit einschließt. Dafür wäre es aber notwendig, dass die internationale Gemeinschaft Schottland vorher als Staat anerkennt, wozu die Zustimmung der Generalversammlung der Vereinten Nationen erforderlich wäre. Jedoch würde die Abstimmung in der Generalversammlung nur auf Vorschlag des Sicherheitsrats stattfinden, in dem das Vereinigte Königreich (wie die Vereinigten Staaten, Frankreich, Russland und China) ein Vetorecht haben.
Es gibt viele Spekulationen, aber nur wenige Gewissheiten. Die Wahl des umstrittenen Boris Johnson – bekannt für seine Vergleiche der Union mit Nazi-Deutschland und andere kontroverse Kommentare während der Kampagne – zum Chef des „Foreign Office“ verheißt keine schnelle, geordnete und zufriedenstellende Lösung für die beiden Parteien. Es gibt aber auch viele Stimmen, die in dieser Wahl einen Weg zu einem Scheitern einer ersten Verhandlungsrunde sehen, der den Weg zu einer zweiten Runde ebnen würde, die weniger europafeindlich und mit mehr Willen zur Einigung geführt werden würde. Verlieren wir nicht die Hoffnung!
Daher müssen wir sehr aufmerksam sein, um zu sehen, wie sich die Verhandlungen entfalten und so die Folgen dieser (unumkehrbaren?) Entscheidung zu beurteilen.